Balatro: Ein Liebesbrief an ein Spiel, das mein neues Tetris ist

Linda Güster
Jasmin Bosley
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Image credit: IGN via Twitter

Dieser Beitrag ist Teil unser Serie: „Gaming-Empfehlungen der Esports-Insider“

In meinem Leben gab es schon viele Spiele, die mich fasziniert haben: Einige genug, um es beim Summer-Sale in meine Steam-Bibliothek zu schaffen, um dort im ewigen Backlog ihr Dasein zu fristen. Andere genug, um mich für eine oder zwei Stunden zu unterhalten, bevor ich mich doch dazu entscheide, meine Zeit produktiver zu nutzen. Wenige Spiele erhalten die Ehre, von mir — einer selbsternannten Achievement-Hunterin — auf 100 % durchgespielt zu werden, wie etwa Stardew Valley oder die Final Fantasy-Serie. Und dann gibt es da diese Spiele wie Balatro, die mal eben mein gesamtes Leben übernehmen und mich das Konzept “Gaming” in einem ganz neuen Licht sehen lassen.

Man muss erstmal wissen: Ich bin ein wirklicher Roguelike-Aficionado. Was auch immer dir gerade beim Wort “Roguelike” gerade als erstes eingefallen ist — ja, ich hab’s gespielt. Slay the Spire, Hades, Spelunky, Vampire Survivors, Noita, Cult of the Lamb, FTL: Faster than Light… Die Liste ist lang. 240 Spiele lang, um genau zu sein, laut Steam-Tags, und trotzdem hat mich im letzten Jahr keins so sehr gepackt wie Balatro. Doch worum geht es da überhaupt?

Spielprinzip von Balatro

Die 90er, in denen Computer zum ersten Mal so richtig Mainstream geworden sind und alle sich vor dem Chef versteckt haben, um erstmal gepflegt Solitaire zu zocken sind vorbei, aber ich kann mir ehrlich vorstellen, dass dieses Loch vom Poker-inspirierten Roguelike-Deckbuilder Balatro lückenlos geschlossen wird.

Im Spiel kämpft man sich in jeder Runde durch acht “Antes”, also Spielphasen, in denen man sich jeweils einem Small Blind, einem Big Blind und einem Boss mit besonderen Regeln stellt. Alle drei Stufen haben eines gemeinsam: Die Punktlatte, die erreicht werden muss, wird jedes Mal ein bisschen höher gesetzt. Die Aufgabe? Pokerhände erstellen, indem man Karten der Starthand abwirft, neue Karten aus dem Deck aufnimmt und hoffen, dass die richtige Kombi kommt. Das klingt erstmal richtig simpel, doch genau dort liegt die Magie.

Man hat nur eine begrenzte Anzahl an Spielzügen, um das jeweilige Punkteziel zu erreichen. Schafft man das, geht’s weiter zur nächsten Runde, und dazwischen darf man das eigene Deck anpassen, upgraden und umbauen. Es ist ein Spiel, dass den Spieler aktiv dazu einlädt, das Regelwerk bis zur Bruchkante zu beugen. Es stellt Prinzipien auf, nur, um dem Spieler im nächsten Moment gleich wieder die Möglichkeit zu geben, die Regeln frei zu gestalten. Als Spieler muss man kreativ werden. Oder man scheitert eben.

Das Beste daran? Man muss quasi kein Poker können. Ehrlich, die Basics reichen: Was ein Straight ist, was ein Full House ist, das reicht als Start und ist auch als Info im Game immer nachzulesen. Der Rest ist pures Deckbuilding, Glück und sehr viel Trial-and-Error. Ich persönlich hab mich am Anfang am liebsten auf Flushes spezialisiert (fünf Karten derselben Farbe, das konnte ich mir als Nicht-Pokerspieler gerade so merken), und dabei meist mein Deck konsequent so angepasst, dass möglichst viele Karten dieselbe Kartenfarbe (Herz, Pik, Karo oder Kreuz) haben. Hat natürlich nicht immer geklappt, aber wenn doch, hat es sich quasi angefühlt wie eine Rampage in Dota 2. Dazwischen: Kaufen, verkaufen, umbauen… Und manchmal auch einfach nur beten.

Klar ist auch: Glück spielt mit rein. Wie in Poker. Wie in jedem guten Roguelike. Aber Balatro wirkt nie willkürlich. Wenn man scheitert, dann, weil man sich verkalkuliert hat. Weil man auf die falsche Karte gehofft hat und nicht schnell genug die Strategie verändert hat, weil man zu früh alles gesetzt hat, was ging. Alles, was passiert, ist das Ergebnis der eigenen Entscheidungen. Und genau das ist der treibende Suchtfaktor.

Warum es einfach perfekt funktioniert

Tetris ist 1989 für das NES erschienen, und gilt bis heute als eines der besten Puzzlespiele überhaupt. Es gab keinen überflüssigen Ballast, keine Patches, keine Extras. Lediglich ein überzeugendes Spielprinzip, eine fesselnde Gameplay-Loop und eine unfassbar starke Melodie, die sich in den Köpfen ganzer Generationen eingebrannt hat. 35 Jahre später hat Balatro genau dieses Feeling eingefangen.

Als Spieler muss man nicht so geschickt und schnell sein wie bei Vampire Survivors. Man muss nicht so präzise Inputs setzen wie bei Crypt of the NecroDancer und man muss auch nicht so ein tiefes Wissen wie bei The Binding of Isaac aufbauen. Es geht einfach um kluge Strategien und Kreativität, Systeme, die aufeinander aufbauen und miteinander funktionieren. Dafür braucht es keine Wiki oder ausgiebige Tabellen, denn das Wissen ist jederzeit aufrufbar, einfach im Spiel.

Und trotzdem ist genügend Raum für Unsicherheit da. Kleine Fragezeichen, die den Spaß erst so richtig beginnen lassen: Was kommt als Nächstes im Shop? Reicht die Hand fürs Ziel? Soll ich den derzeitigen Blind überspringen für ein Boosterpack? Balatro lässt die Kontrolle beim Spieler, aber gibt niemals komplette Sicherheit. Man plant, optimiert, hofft.

Man rerollt die Karten im Shop, das Gold sinkt: 50, 48, 44, 38, 32, 25. Die nächste Auswahl im Shop muss gut werden. Der Build ist kurz davor, komplett durch die Decke zu gehen. Der Mauszeiger schwebt über den Reroll-Button. Und dann ist sie wieder da, die Melodie im Loop. Es ist 1989, man sitzt im Pyjama viel zu nah am Röhrenfernseher, es ist Schlafenszeit. 

Boom, Tetris.

Balatro gut, alles gut

Vielleicht dauert es wieder 35 Jahre, bis ein weiteres Spiel auftaucht, was mich so catcht. Da es noch immer kein Kingdom Hearts 4-Release-Date gibt, ist das tatsächlich gar nicht so unwahrscheinlich. Aber das ist okay, denn Balatro hat sich einen festen Platz in meinem Herzen und Alltag erkämpft. Selbst wenn ich demnächst die 100 % erreiche, mit allen Jokers, Achievements und Karten, wird es bleiben. Nicht unbedingt täglich gespielt, aber immer präsent als Maß der Dinge.

Wenn ich Balatro nicht spiele, denke ich daran, es zu spielen. Dieser Gedanke, zwischen Kaffee und Kalender, irgendwo zwischen Meetings und Müslischale geschoben. “Was, wenn die ‘4 of a Kind’-Strategie diesmal funktioniert? Vielleicht probiere ich noch einen Run… Vielleicht kommt mein Planeten-Joker wieder… Vielleicht, vielleicht, vielleicht.”

Ich wusste schon vorher, dass mein Gehirn große Zahlen liebt. Idle- und Clicker-Games haben mir das sehr früh beigebracht. Aber dass ein Spiel mir nach all den Jahren wieder so konsequent den Schlaf klaut wie damals Stellaris und Civilization VI, mit “nur noch eine Runde”, hätte ich eher nicht gedacht. Und doch sitze ich da. 02:14 Uhr. Der Bildschirm flackert, der Shop ist leergekauft, die Musik des Spiels ist auch nach 200 Stunden genauso gut wie am Anfang. Und ich sage es wieder: nur noch eine Runde. Kurz die Hand optimieren, kurz einen Joker testen, nur noch bis zum nächsten Boss.

Balatro ist kein Spiel, was man durchspielt und dann weglegt. Es ist ein Spiel, was bleibt und sich festsetzt. Es ist nicht besonders laut und auch nicht besonders groß. Aber es frisst sich langsam in einen rein. Langsam, leise, clever und mit extrem viel Liebe zum Detail.

Manche Spiele kommen, manche Spiele gehen. Balatro bleibt.

Linda Güster ist leidenschaftliche Gamerin und als Teil des Freelance-Teams bei ESI immer am Puls der eSports-Szene. Ob knallharte DotA-2-Matches, nervenaufreibende Survival-Abenteuer in Subnautica oder entspannte Stunden mit Cozy Games wie Stardew Valley — sie liebt die ganze Bandbreite des Gaming-Universums. Abseits davon bringt sie als Software-Entwicklerin und Freelancerin ihr Können in die Welten von Technologie, Mode, Finanzen und iGaming ein, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen und spannenden Projekten.