Ausgepowert am Controller: Wie Esports mit Sucht kämpft

Ben Touati
Jasmin Bosley
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Image credit: Midjourney

Washington, D.C., 4. Juni 2025 – Während auf den großen Turnierbühnen wieder Preisgelder in Millionenhöhe ausgespielt werden, richtet ein FTC-Workshop den Fokus auf eine unbequeme Realität: Wie große Tech-Unternehmen und Spieleentwickler süchtig machende Mechaniken einsetzen, mit Folgen besonders für junge Spieler und die Esports-Welt.

Der Titel des Workshops ist unmissverständlich: „Wie große Technologieunternehmen Kinder ausnutzen und Familien schädigen.“ Die Kritik trifft einen Nerv – auch in Deutschland, wo Esports boomt, aber zugleich alarmierende Studien zu Spielsucht und gesundheitlichen Risiken vorliegen.

Wie Spiele uns fesseln

In modernen Games sind sogenannte „addictive design features“ allgegenwärtig.

Lootboxen, die mit zufälligen Belohnungen das Belohnungssystem des Gehirns triggern, Fortschrittssysteme, die Spieler mit Skins, Levels oder Badges ködern, und Matchmaking-Algorithmen, die konstant spannende Gegner liefern – all diese Mechanismen sollen eines bewirken: maximales Engagement.

Gerade in der Esports-Szene, wo Profispieler täglich acht bis zwölf Stunden trainieren, verschwimmen die Grenzen zwischen Leidenschaft und Abhängigkeit. Diese Systeme sind längst nicht mehr nur Werkzeuge zur Spielerbindung. Sie bergen laut zahlreichen Studien erhebliche Risiken für die psychische und physische Gesundheit.

Der FTC-Workshop wirft ein Schlaglicht auf diese Praktiken, die weltweit Milliardenumsätze generieren, aber gleichzeitig fundamentale ethische Fragen aufwerfen. In Deutschland, wo Esports rasant wächst, sind die Auswirkungen dieser Dynamiken besonders spürbar.

Spielzeit, Sitzzeit, Schlafmangel

Eine vielzitierte Studie der Deutschen Sporthochschule Köln von 2019 zeigt: Deutsche Spieler verbringen durchschnittlich 24,4 Stunden pro Woche vor dem Bildschirm. Zwei Drittel der Befragten treiben moderate bis intensive Sportarten. Die tägliche Sitzzeit liegt aber im Schnitt bei 7,7 Stunden, während die durchschnittliche Schlafdauer nur 7,1 Stunden beträgt.

Diese Kombination erhöht das Risiko für Übergewicht, Schlafstörungen und psychische Belastungen signifikant. Das gilt besonders für Jugendliche, die sich in einer kritischen Entwicklungsphase befinden.

Spielsucht in Deutschland

Die Zahlen sind alarmierend: Laut einer ScienceDirect-Studie von 2019 leiden 3,5 % der deutschen Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren an Internet Gaming Disorder (IGD) – einer Störung, die 2018 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell in die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen wurde.

Diese Diagnose geht oft mit depressiven Symptomen, emotionaler Abhängigkeit und sozialer Isolation einher. Das ist besonders gefährlich in einem Umfeld, das Leistungsdruck, Selbstdarstellung und ständige Erreichbarkeit begünstigt.

Auch hier spielt die Esports-Szene eine ambivalente Rolle: Sie bietet Chancen auf Ruhm und Karriere und gleichzeitig ein ideales Biotop für die Entstehung psychischer Belastungen.

Eine Folgestudie der Sporthochschule Köln von 2020 zeigt: 92,5 % der Esports-Spieler bewerten ihren Gesundheitszustand als „gut“ oder besser. Das ist eine Selbsteinschätzung, die häufig im Widerspruch zu objektiven Gesundheitsparametern steht und die realen Risiken verschleiert.

Wenn Wettbewerb krank macht

In der Welt des Esports ist die Grenze zwischen ehrgeizigem Training und gesundheitsschädlichem Verhalten oft fließend.

Profispieler trainieren unter hohem Druck, befeuert von Sponsoren und millionenschweren Turnieren. Der ständige Anreiz, besser zu werden, gepaart mit den manipulativen Designmerkmalen vieler Spiele, führt nicht selten zu Überlastung, Schlafmangel, Isolation oder Burnout.

Besonders junge Talente sind gefährdet: Ohne ausreichende mediale Bildung oder psychologische Unterstützung fällt es schwer, zwischen ehrgeizigem Ziel und schädlicher Selbstüberforderung zu unterscheiden.

Juristen gegen Joystick

Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der FTC-Workshops beleuchtet wird, ist die rechtliche Verantwortung der Unternehmen. Erste Klagen, etwa gegen Microsoft oder Nintendo, werfen den Entwicklern vor, bewusst suchtfördernde Mechaniken in Spiele zu integrieren, um Umsatz und Nutzungsdauer zu maximieren.

Diese juristischen Auseinandersetzungen könnten die Geschäftsmodelle großer Publisher infrage stellen und die Esports-Industrie zwingen, sich stärker mit ethischen Standards und Spielerschutz auseinanderzusetzen.

In Deutschland beginnen erste Organisationen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen: verpflichtende Pausen, sportpsychologische Betreuung oder Aufklärungskampagnen. Doch diese Initiativen stecken noch in den Kinderschuhen und sind bislang kaum flächendeckend etabliert.

Überblick über Studien zu Spielsucht in Deutschland

StudieJahrProbengrößePrävalenz IGDWichtige Erkenntnisse
eSports-Studie 201920191066Durchschnittliche Spielzeit: 24,4 Stunden/Woche, hohe Sitzzeit
eSports-Studie 20202020103892,5 % bewerten Gesundheits-zustand als „gut“ oder besser
Internet Gaming Disorder (IGD)201910013,5 %Hohe Komorbidität mit depressiven Symptomen bei Jugendlichen

Ein Appell zur Verantwortung

Die Diskussion über die Aufmerksamkeitsökonomie ist kein Angriff auf Esports, sondern eine Chance. Eine Chance, die Branche nachhaltiger, gesünder und zukunftsfähiger zu gestalten.

Spieleentwickler könnten auf manipulative Belohnungssysteme verzichten, Transparenz schaffen und Mechaniken einführen, die Spielzeit begrenzen oder zumindest reflektierbar machen. Esports-Organisationen könnten Trainingseinheiten stärker regulieren, Auszeiten fördern und psychologische Betreuung institutionalisiert anbieten.

Deutschland, mit seiner starken Studienlandschaft und einer wachsenden Esports-Infrastruktur, hat das Potenzial, hier eine internationale Vorreiterrolle einzunehmen. Studien wie die der Deutschen Sporthochschule Köln bieten eine solide Grundlage, um solche Maßnahmen umzusetzen.

Fazit

Der FTC-Workshop berührt den Kern einer Industrie, die gerade erst erwachsen wird: die Verantwortung für ihre Spieler.

Die Mechanismen, die Esports so erfolgreich gemacht haben, sind auch seine größte Gefahr. Der Spagat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und gesundheitlicher Fürsorge muss aktiv gestaltet werden, bevor Burnout und Isolation zur neuen Normalität werden.

Es ist Zeit, die Community nicht nur auf Siege zu programmieren, sondern auf ein gesundes, stabiles Gleichgewicht zwischen Leidenschaft und Lebensqualität. Denn am Ende geht es nicht nur um den nächsten Kill, die nächste Trophäe oder den nächsten Vertrag. Es geht darum, drin zu bleiben – ohne sich selbst zu verlieren.

Ben Touati schreibt über Esports, Games und digitale Welten – mit einem Blick, der zwischen analytischem Tiefgang und nerdiger Begeisterung pendelt. Sein Background in Linguistik verleiht ihm ein feines Gespür für Sprache, Struktur und die kleinen Nuancen, die große Geschichten tragen. Ob aktuelle Entwicklungen im kompetitiven Gaming, neue Trends oder Arnold Schwarzeneggers Englisch: Ben liefert Einordnungen mit Substanz – immer durchzogen von Popkultur-Referenzen, filmreifen Metaphern und dem leisen Verdacht, dass das alles irgendwie mit Buffy the Vampire Slayer und Watchmen zu tun hat.